Ist die Entscheidung der Praxisabgabe gefallen, steht für viele Ärzte und Ärztinnen zunächst der Verkaufspreis im Fokus. Bei der Frage, welcher Preis realistisch und fair ist, spalten sich jedoch mitunter die Geister. Während potentielle Käufer und Käuferinnen naturgemäß möglichst wenig zahlen wollen, wollen Verkäufer und Verkäuferinnen auf der anderen Seite möglichst hohe Verkaufspreise erzielen.
Enttäuschte Erwartungen und emotionsgeladene Preisverhandlungen lassen sich jedoch, ebenso wie ein Verkauf unter Wert, nur durch eine transparente Praxiswertermittlung vermeiden. Doch worauf kommt es Investoren oder auch anderen Käufern bei der Bewertung einer Arzt- oder Zahnarztpraxis an?
Diese Frage führt häufig zu Verunsicherungen bei den Praxisinhabern und Praxisinhaberinnen, da es keinen rechtlich verbindlichen Weg der Praxisbewertung gibt, sondern stattdessen eine Vielzahl von unterschiedlichen Bewertungsmethoden.
Wir helfen Ihnen, den Überblick zu behalten und unterstützen Sie Schritt für Schritt.
Gründe für eine Praxiswertermittlung
Eine präzise Praxiswertermittlung ist entscheidend für die strategische Planung einer Praxis, sei es beim Verkauf, bei der Übergabe oder im Falle einer Fusion. Sie bietet Klarheit über den tatsächlichen Wert der Praxis und schafft eine solide Grundlage für finanzielle Entscheidungen. Im Folgenden sind einige der wichtigsten Anlässe aufgeführt, bei denen eine Praxiswertermittlung erforderlich ist:
- Praxisverkauf: Um einen fairen Verkaufspreis zu erzielen und Verhandlungen erfolgreich zu führen, ist eine genaue Wertermittlung unverzichtbar.
- Praxisübernahme: Bei der Übergabe an einen Nachfolger hilft die Wertermittlung, einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten und rechtliche sowie finanzielle Unsicherheiten zu minimieren.
- Finanzierung: Banken und Investoren benötigen eine fundierte Wertermittlung, um Kreditentscheidungen und Investitionspläne abzusichern.
- SteuerlicheZwecke: Eine korrekte Bewertung ist wichtig für steuerliche Abwicklungen, insbesondere bei Erbschaften oder Schenkungen.
- Praxisfusion: Bei Zusammenschlüssen oder Partnerschaften hilft die Wertermittlung, faire Anteile zu definieren und die Struktur der neuen Einheit zu planen.
Kennzahlen für die Praxiswertermittlung: Worauf kommt es an?
Eine fundierte Praxiswertermittlung ist für verschiedene Anlässe essentiell, sei es für den Verkauf, die Übergabe an einen Nachfolger oder zur strategischen Planung einer Praxisfusion. Dabei spielen sowohl materielle als auch immaterielle Werte eine zentrale Rolle. Diese beiden Komponenten bilden die Grundlage der meisten Bewertungsmethoden und sind entscheidend für eine umfassende und aussagekräftige Beurteilung des Praxiswertes.
Materieller Wert (Substanzwert): Der materielle Wert umfasst alle greifbaren Vermögenswerte einer Praxis, die auch als Substanzwert bezeichnet werden. Dazu gehören das Mobiliar, medizinische Geräte, Verbrauchsmaterialien und, falls vorhanden, die Praxisimmobilie. Diese Vermögenswerte können einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtwert der Praxis haben und sind besonders relevant, wenn es darum geht, den tatsächlichen Sachwert der Praxis zu ermitteln.
Immaterieller Wert (Goodwill): Der immaterielle Wert, oft als Goodwill bezeichnet, umfasst die ideellen Aspekte einer Praxis, die das zukünftige Umsatzpotential widerspiegeln. Dazu zählen die Lage der Praxis, die Reputation und Expertise des Praxispersonals, die Patientenzahlen sowie die Qualität der organisatorischen Abläufe und digitalen Infrastrukturen. Diese Faktoren sind maßgeblich dafür, wie attraktiv eine Praxis für potenzielle Käufer oder Investoren ist.
Wirtschaftliche Kennzahlen: Neben den materiellen und immateriellen Werten spielen wirtschaftliche Kennzahlen wie Umsatz, Gewinnentwicklung und die Kostenstruktur der Praxis eine entscheidende Rolle. Ein stabiler und kontinuierlich wachsender Umsatz ist ein Indikator für ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das sowohl für Investoren als auch für potenzielle Nachfolger von Interesse ist.
Standort und Ausstattung: Der Standort der Praxis ist ein weiterer wesentlicher Faktor, der den Praxiswert beeinflusst. Eine Praxis in einer gut erreichbaren, attraktiven Lage kann einen höheren Wert aufweisen, da sie potenziell mehr Patienten anzieht. Auch die moderne und gut gepflegte Ausstattung der Praxis kann den Wert steigern, da sie die Betriebskosten senkt und die Attraktivität für Patienten erhöht.
Übernahmebedingungen: In vielen Fällen, insbesondere bei Übernahmen durch Medizinische Versorgungszentren (MVZ), ist es vorteilhaft, wenn der Verkäufer oder die Verkäuferin sowie das Praxisteam bereit sind, nach dem Verkauf für eine gewisse Zeit weiter in der Praxis zu arbeiten. Diese Kontinuität kann den Praxiswert erheblich beeinflussen, da sie einen reibungslosen Übergang und den Erhalt der Patientenbasis sicherstellt.
Da Investoren als Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Form einer GmbH tätig sind, kommen für diese insbesondere Praxen in Frage, dessen Verkäufer oder Verkäuferin samt Praxisteam bereit sind, auch nach dem Verkauf für einen gewissen Zeitraum als Angestellte im MVZ zu arbeiten.
Diese Frage und noch viele mehr stellen Sie sich? Wir haben die richtigen Antworten für Sie.
Die gängigen Bewertungsmethoden
Bei der Praxiswertermittlung stehen verschiedene Bewertungsmethoden zur Verfügung, um den tatsächlichen Wert einer Arzt- oder Zahnarztpraxis zu ermitteln. Jede Methode berücksichtigt unterschiedliche Aspekte der Praxis, von materiellen Vermögenswerten bis hin zu ideellen Faktoren wie dem Patientenstamm und der Lage. Die gängigsten Bewertungsmethoden stellen die sogenannte „Neue Ärztekammer-Methode“ und die „Modifizierte Ertragswertmethode“ dar. Im Folgenden werden diese Methoden zur Praxiswertermittlung vorgestellt.
Bundesärztekammermethode
Bei der Ärztekammermethode wird zunächst ein übertragbarer Umsatz mittels der durchschnittlichen letzten drei Jahresumsätze errechnet. Dabei werden nicht übertragbare, wie beispielsweise außerordentliche und einmalige Erträge, abgezogen. Der übertragbare Umsatz wird daraufhin um die übertragbaren Kosten korrigiert. Zu diesen zählen beispielsweise Finanzierungskosten oder Abschreibungen.
Aus diesen Berechnungen ergibt sich nach Abzug eines Unternehmerlohns ein durchschnittlicher zukünftiger Gewinn, welcher mittels Prognosemultiplikator multipliziert wird, um den immateriellen Praxiswert zu erhalten. Dieser Multiplikator liegt bei einer Einzelpraxis bei 2,0 und bei einer Berufsausübungsgemeinschaft bei 2,5.
Letztlich wird der immaterielle Wert mit dem materiellen Wert der Praxis addiert und ein Gesamtwert ermittelt.
Da sich diese Methode stark auf die vergangenen Umsätze konzentriert und zukünftiges Potential außer Acht lässt, wird sie betriebswirtschaftlich stark kritisiert und folglich in der Regel nicht ausschließlich angewendet, sondern vielmehr in Kombination mit anderen Berechnungsmethoden.
Rechenbeispiel: Bundesärztekammermethode
Angenommen, eine Arztpraxis hat in den letzten drei Jahren folgende Jahresumsätze erzielt:
Jahr 1: 400.000 €
Jahr 2: 450.000 €
Jahr 3: 430.000 €
1. Schritt: Ermittlung des durchschnittlichen Umsatzes
- Durchschnittlicher Jahresumsatz = (400.000 € + 450.000 € + 430.000 €) / 3 = 426.667 €
2. Schritt: Ermittlung des übertragbaren Umsatzes
- Angenommen, es gibt einmalige Erträge von 10.000 €, die nicht übertragbar sind.
- Übertragbarer Umsatz = 426.667 € – 10.000 € = 416.667 €
3. Schritt: Abzug der übertragbaren Kosten
- Übertragbare Kosten (z.B. Finanzierungskosten und Abschreibungen) betragen 100.000 €.
- Übertragbarer Gewinn (vor Unternehmerlohn) = 416.667 € – 100.000 € = 316.667 €
4. Schritt: Abzug des Unternehmerlohns
- Unternehmerlohn wird hier mit 80.000 € angesetzt.
- Durchschnittlicher zukünftiger Gewinn = 316.667 € – 80.000 € = 236.667 €
5. Schritt: Anwendung des Prognosemultiplikators
- Bei einer Einzelpraxis wird der immaterielle Wert mit einem Multiplikator von 2,0 berechnet.
- Immaterieller Praxiswert = 236.667 € * 2,0 = 473.334 €
6. Schritt: Addition des materiellen Werts
- Angenommen, der materielle Wert der Praxis (Ausstattung, Geräte, etc.) beträgt 150.000 €.
- Gesamtwert der Praxis = 473.334 € + 150.000 € = 623.334 €
Damit ergibt sich ein Gesamtwert der Praxis nach der Bundesärztekammermethode von 623.334 €.
Modifizierte Ertragswertmethode
Die modifizierte Ertragswertmethode hingegen gilt als zutreffendstes Bewertungsverfahren und genießt als bisher einzige Methode auch gerichtliche Akzeptanz, da das Bundessozialgericht diese in einem Urteil vom 14.12.2011 als „geeignet“ anerkannt hat. Die modifizierte Ertragswertmethode basiert auf den Standards des Instituts der Deutschen Wirtschaftsprüfer.
Zunächst wird mittels Analyse der Umsätze der letzten drei bis fünf Jahre der zukünftig erwartete Überschuss errechnet, welcher dann hinsichtlich einmaliger Faktoren und Abschreibungen, welche in einem typischen Geschäftsjahr nicht anfallen, korrigiert wird.
Anschließend wird ein Kapitalisierungszeitraum festgelegt, welcher widerspiegeln soll, wie lange von bestehenden Strukturen, also dem Goodwill, profitiert wird. Dieser Zeitraum beträgt in der Regel zwei bis fünf Jahre. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wird eine Zukunftsprognose erstellt, bei welcher subjektive und objektive Kriterien, welche sowohl wertsteigernd als auch wertmindernd sein können, berücksichtigt werden.
Von dem daraus resultierenden Betrag werden ein Unternehmerlohn sowie Steuern abgezogen. Im letzten Schritt wird die Umsatzprognose mittels eines Kalkulationszinses auf den Zeitpunkt des Bewertungsstichtags abgezinst. Aus diesem Prozedere ergibt sich der immaterielle Wert einer Praxis, welcher dann gemeinsam mit dem materiellen Wert zu einem Gesamtwert zusammengerechnet wird.
Rechenbeispiel: Modifizierte Ertragswertmethode
Angenommen, eine Arztpraxis hat in den letzten fünf Jahren die folgenden Jahresüberschüsse (nach Abzug der übertragbaren Kosten) erzielt:
- Jahr 1: 100.000 €
- Jahr 2: 120.000 €
- Jahr 3: 110.000 €
- Jahr 4: 130.000 €
- Jahr 5: 115.000 €
1. Schritt: Ermittlung des zukünftig erwarteten Überschusses
- Durchschnittlicher Jahresüberschuss = (100.000 € + 120.000 € + 110.000 € + 130.000 € + 115.000 €) / 5 = 115.000 €
2. Schritt: Korrektur des Überschusses
- Angenommen, es gibt einmalige außerordentliche Kosten von 10.000 €, die in einem typischen Jahr nicht anfallen.
- Korrigierter zukünftiger Überschuss = 115.000 € + 10.000 € = 125.000 €
3. Schritt: Festlegung des Kapitalisierungszeitraums
- Es wird ein Kapitalisierungszeitraum von 4 Jahren festgelegt.
4. Schritt: Berechnung des Barwerts der zukünftigen Überschüsse
- Zukünftiger Überschuss für die nächsten 4 Jahre: 125.000 € pro Jahr.
- Kalkulationszins (z.B. 5 %): Abzinsungsfaktor für 4 Jahre beträgt ca. 3,546.
- Barwert der zukünftigen Überschüsse = 125.000 € * 3,546 = 443.250 €
5. Schritt: Abzug von Unternehmerlohn und Steuern
- Angenommener Unternehmerlohn: 80.000 € pro Jahr.
- Steuerquote (z. B. 30 % auf den verbleibenden Überschuss):
- Zu versteuernder Gewinn pro Jahr = 125.000 € – 80.000 € = 45.000 €
- Steuer pro Jahr = 45.000 € * 30 % = 13.500 €
- Nach Steuer verbleibender Gewinn pro Jahr = 45.000 € – 13.500 € = 31.500 €
- Kapitalwert des nach Steuern verbleibenden Gewinns über 4 Jahre = 31.500 € * 3,546 = 111.699 €
6. Schritt: Berechnung des immateriellen Werts
- Immaterieller Praxiswert = 111.699 €
7. Schritt: Addition des materiellen Werts
- Angenommen, der materielle Wert der Praxis (Ausstattung, Geräte, etc.) beträgt 150.000 €.
- Gesamtwert der Praxis = 111.699 € + 150.000 € = 261.699 €
- Damit ergibt sich ein Gesamtwert der Praxis nach der modifizierten Ertragswertmethode von 261.699 €.
Checkliste: Welche Infos benötigen potentielle Investoren?
Potentielle Investoren sind zur Bewertung einer Arzt- oder Zahnarztpraxis an einem umfassenden Praxisexposé interessiert, welches sich neben den wirtschaftlichen Kerndaten stark auf den Goodwill der Praxis konzentriert.
Dazu werden unter anderem folgende Angaben benötigt:
- Die letzten drei Jahresabschlüsse nebst Anlagespiegel
- Aktuelle BWA
- Aktuelle Mitarbeiterübersicht/Lohnjournal
- Geschäftsmodell und Zusammenfassung des Leistungsangebots und Praxisschwerpunkts
- Informationen zur Praxisorganisation (Software, Digitalisierung, Datenschutz, Online-Aufritt, etc.)
- Lage und Ausstattung der Praxisräumlichkeiten (Behandlungszimmer, medizinische Geräte. etc.)
- Entwicklung der Patientenzahlen